Warum und wie sollte das Immunsystem unser Verhalten beeinflussen? Ist das nicht die Aufgabe des Gehirns? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erstmal „vereinfacht“ klären warum wir ein Immunsystem haben und welche Aufgaben es hat
1. Welche Aufgaben hat unser Immunsystem?
Das Immunsystem ist wie eine Art Unfallversicherung. Es hat aus evolutionärer Sicht (alte Stressoren) die Aufgabe uns vor Krankheitserregern (Viren, Bakterien) und Anthropogene Faktoren (Pilze, Strahlung, Mikroorganismen, Lärm, Kälte, Hitze) zu schützen oder uns von Gewebeverletzungen und Krankheiten zu heilen. Aufgrund dieser ständigen Erfahrungen (Stressoren) hat sich das Immunsystem im Laufe der Evolution ständig weiterentwickelt. Es ist dadurch extrem effektiv geworden.
Um den Körper, unter den oben genannten Aufgaben („alten Stressoren“) wieder in sein Gleichgewicht zu bringen, veranlasst das Immunsystem je nach Signal eine mehr oder weniger starke Entzündung (Schmerz, Schwellung, Rötung, Wärme, Bewegungseinschränkung). Die Entzündung, welche optimal nicht länger als 4 bis 7 Tage dauert, dient als Schutz und Heilungsprozess. Wichtig hierbei ist auch die Aufgabe des Immunsystems, die Entzündung rechtzeitig zu beenden (durch Resolvine, Protectine, Lipoxine). Diese Aufgabe erfüllt das Immunsystem im optimalen Fall sehr gut.
Im Laufe der modernen, meist nicht mehr artgerechten Lebensweise, muss das Immunsystem auch auf neue Reize reagieren. Diese sind aus evolutionärer Sicht nicht gut an den Menschen adaptiert bzw. bekannt. Dazu zählen evolutionär junge Nahrungsmittel (modernes Getreide, Transfette, Omega 6 reiche Öle, Nahrungsmittel mit hohem Fructose Anteil bzw. hochkalorische Nahrung) im Zusammenhang mit der Qualität der Darmflora. Dazu kommt eine hohe Mahlzeitenfrequenz, körperliche Inaktivität und ständiger psycho-emotionaler Stress. Diese für das Immunsystem neuen Signale, lösen aber nicht die notwendige Reizstärke aus, die zwingend notwendig ist, damit die Entzündungsreaktion gezielt gestartet und beendet werden kann. Dadurch kommt es zu einer chronisch niedriggradigen Entzündung, welche durch das weitere Fehlverhalten über Monate bis Jahre erhalten bleibt. Somit ergibt sich ein Zusammenhang zwischen unserem Verhalten und unserer Gesundheit.
2. Was hat nun das Immunsystem mit unserem Verhalten zu tun?
Das einfachste Ziel des Immunsystems ist es, Krankheitserreger erst gar nicht durch die Barrieren Haut, Lunge oder Verdauungstrakt (Mund, Darm) zu lassen. Ganz allgemein sichert es unser Überleben und verteilt dabei die Energie im Körper. Es besteht aus neun verschiedenen Komponenten, wobei jetzt nur die letzte, die Verhaltensebene für uns interessant ist. Die Anderen acht Komponenten werden aus Gründen der Komplexität an anderer Stelle erläutert.
Die Verhaltensebene kann reaktiv und proaktiv sein. Reaktiv schütz uns und andere mit Rückzug vor sozialer Interaktion mit hohem Infektionsrisiko. Je aktiver unser Immunsystem ist, desto ausgeprägter wird diese Strategie sein. Dies kann auch der Fall sein, wenn wir anderen Kulturen welche unbekannten Krankheiten begegnen. Dies kann sich dann in der Praxis mit kontrolliertem und monotonem Verhalten auswirken. Dazu zählen auch das Vermeiden von Fernreisen und das nicht Aufsuchen von Menschenmassen.
Proaktiv bedeutet Vorausschauend in Bezug auf Situationen und Menschen. Dazu zählen auch kulturelle und traditionelle Verhaltensweisen, welche aus der Erfahrung gut funktionieren (Essverhalten, Sozialverhalten, Rituale innerhalb der Familie oder des Landes). Somit schützen wir uns aus der Erfahrung heraus vor Dingen, welche wir nicht kennen und nutzen Verhaltensweisen, welche schon seit mehreren Generationen funktionieren. Die Frage ist nur, ob dieses Verhalten, die Möglichkeit für eine individuelle Weiterentwicklung beeinflusst?
In Bezug auf die Annahme, „das Immunsystem beeinflusst unser Verhalten“, konnten Forscher herausfinden, dass ein schlecht funktionierendes Immunsystem für soziale Defizite bei neurologischen Erkrankungen wie Autismus und Schizophrenie verantwortlich sein kann. Wissenschaftler von der University of Massachusetts Medical School und der University of Virginia stellten bei ihrer Untersuchung fest, dass unser Immunsystem unser Sozialverhalten beeinflussen kann. Hierzu einige Erkenntnisse im Überblick.:
Signale des Immunsystems beeinflussen direkt das soziale Verhalten und die Befindlichkeit:
- Bsp.: Infektionen u. Entzündungen führen zu einem Rückzugverhalten sowie Müdigkeit u. Interessenverlust u. bedingen weniger Motivation für körperliche u. geistige Tätigkeiten. Somit ist eine leichte depressive Verstimmung oder Angst normal und eher als Schutzmechanismus (für uns und andere) zu sehen. Es wird alles an Energie für die Heilung aufgewendet u. somit dem Gehirn u. den Muskeln entzogen. Dazu mehr unter dem Thema Energieverteilung.
- Bei chronischem Stress und ungelösten Problemen entsteht ebenfalls eine Aktivierung des Immunsystems. Diese System-veränderung wird häufig noch mit einer Aufnahme von hochkalorischen Nahrungsmitteln (Kohlenhydrate) verstärkt. Somit wird unser freier Wille vom Immunsystem und seiner Energienachfrage dominiert. Dabei wird der emotionale Teil des Gehirns stärker durchblutet, wodurch die Menschen zusätzlich Angst u. Unruhe entwickeln. Durch die Beeinflussung der Befindlichkeit (Gefühle u. Emotionen) verändert sich auch unser Sozialverhalten. Bei einer chronisch niedergradige Entzündung durch vermehrtes Bauchfett, entsteht auch gleichzeitig eine chronische Aktivierung des Immunsystems. Durch den Abzug der benötigten Energie wird auch hier die Aktivität des Gehirns u. der Muskulatur runtergefahren. Damit kommt es wie oben beschrieben zu Motivationsverlust, geringerer Entscheidungsfähigkeit u. körperlicher Inaktivität.
- Mediziner entdeckten eine versteckte Verbindung zwischen den Immunsignalen und sozialen Funktionen des Gehirns. Beispielsweise wird das Glykoprotein mit der Bezeichnung Interferon gamma (IFN-γ) durch die Immunzellen abgesondert und scheint die sozialen Funktionen des Gehirns zu fördern. Wird im Gegenzug das IFN-γ Protein bei den Gehirnen blockiert, werden in diesem Fall Versuchstiere hyperaktiv und zeigen ein vermindertes Sozialverhalten. Das Wiederherstellen des sogenannten IFN-γ Proteins bewirkt, dass sich die Hirnaktivität und das soziale Verhalten wieder normalisiert. Dies konnte auch schon bei Menschen mit Autismus zu einem deutlich verbessertem Sozialverhalten führen.
Gehirn und Immunsystem arbeiten nicht voneinander getrennt:
- Lange Zeit wurde angenommen, dass unser Gehirn und das sogenannte erworbene Immunsystem voneinander getrennt agieren. Neuste Ergebnisse zeigen, dass einige unserer Verhaltensweisen sich als eine Reaktion des Immunsystems auf verschiedene Krankheitserreger entwickelt haben.
Fazit:
Es ist eindeutig zu erkennen, dass unser Immunsystem unser Verhalten steuert oder zumindest beeinflusst. Unterbewusst findet immer eine Kosten-Nutzen-Analyse statt. Dazu zählt wie hoch ist die Infektionsgefahr und welchen Nutzen erhalte ich, wenn ich mich dennoch der Bedrohung aussetze. Dieses evolutionär verankerte Programm tragen wir alle in uns. Dieses Wissen darüber soll uns helfen, unser und das Verhalten der Mitmenschen besser zu verstehen und positiv zu beeinflussen. Zudem sind wir in der Lage mehr Kontrolle über unser Verhalten und somit für die Erreichung von Zielen zu gewinnen.
Quellen:
- https://www.nature.com/articles/nature18626
- https://www.chantal-amend.de/immunsystem/
- Ader, Cohen (1975): Behaviorally Conditioned Immunosuppression. Psychosom Med. 1975 Jul-Aug;37(4):333-40. PMID: 1162023
- Andrea Kamphuis (2018). Das Autoimmunbuch.
- Leo Pruimboom, Daniel Reheis, Martin Rinderer (2017). Das Wirk Koch Buch.